Gute Vorsätze und Tippelschritte

So sicher wie das Amen in der Kirche sind die januärlichen Titelseiten von Magazinen wie Stern, Brigitte oder Maxi – weg mit den Rezepten für hygge Sonntagsbraten und lecker Plätzchen, her mit den Diäten und den Fitnesstipps. Passend dazu offerieren Aldi, Lidl, Tchibo und Co Sportgeräte, Yogahosen, Laufkleidung und Sportschuhe. Allenthalben rollen begeisterte Menschen die Yogamatten aus um Challenges zu meistern, wir trinken keinen Alkohol, wollen keine Schokolade mehr essen und überhaupt: Rundumerneuerung ist angesagt im Januar. Erstaunlich, wie sehr ein zufälliges Datum wie der 1.1. aus den Menschen plötzliche zielstrebige, selbstoptimierte Overachiever macht. Ich nehme mich da nicht aus, denn auch ich rolle im Moment (noch) morgendlich die Yogamatte aus und versuche insgesamt ein besserer Mensch zu werden.
Diese Begeisterung für den Neuanfang hält aber leider oft nur bis Februar, denn spätestens dann ist man derlei Anstrengung müde, eine Grippe oder Erkältung hat einen in alte Verhaltensmuster zurückgeworfen und manchmal hat man auch schlichtweg keinen Bock mehr, weil doch immer irgendwo irgendwer (irgendeine) besser, schöner, schneller und zielstrebiger ist als wir.
Dann ist der Kater groß, das neugekaufte Vibrationsbord verstaubt in der Ecke und die Yogahose liegt zusammengekrümpelt im letzten Eck des Schrankes. Das passiert, weil wir uns von Zeitschriften, Instagram, Facebook, Sportläden und anderen Zeitgenossen übergroße Ziele aufschwatzen lassen, die wenig erreichbar sind oder nur unter zu großer Kraftanstrengung. Und natürlich sollen wir für die Erreichung dieser Ziele erstmal Zeugs kaufen, nur kaufen, kaufen, kaufen, wenn wir es dann nicht benutzen, ist es den Verlagen, Sportläden und Lebensmittelmarken egal, weil das Geschäftle haben die ja schon gemacht.
Tippelschritte statt großer Sprünge
Ich behaupte: Lebensänderungen werden nur nachhaltig erreichbar, wenn wir sie mit Tippelschritten statt großer Sprünge versuchen anzugehen. Kein Baby lernt sofort krabbeln, sondern versucht erstmal einen Monat lang, sich auf den Bauch zu rollen. Diese Vorübung erscheint uns sinnvoll, denn wie soll es ohne Bauchmuskeln zu krabbeln anfangen? Dennoch wenden wir diese sehr richtige Erkenntnis nicht auf uns selber an, sondern wollen gleich das große Ziel, den perfekten Yogabody, die 10k beim Joggen, die vegane Superfoodernährung erreichen. Wer das schafft – Gratulation. Aber der Weg dahin ist länger als unser Durchhaltvermögen, daher wäre es besser sich kleine Ziele zu setzen. Kleine Tag-für-Tag-Verbesserungen, die weniger Anstrengung verlangen und daher eher durchhaltbar werden.
Fangen wir klein an
Wer seine Ernährung umstellen möchte, muss zum Beispiel nicht sofort den Inhalt seines Küchenschrankes wegwerfen und sich im DM mit veganen Ersatzprodukten eindecken. Vielleicht ersetzt man erstmal eine Komponente durch ein Ersatzprodukt, versucht Vorhandenes aufzubrauchen und kauft nur Benötigtes neu ein. Ein volles Obst- und Gemüsefach ist schon mal ein guter Anfang. Eine Tafel Schokolade durch eine Handvoll Nuss-Frucht-Mischung zu ersetzen schadet auch nie. Ich bin ja kein Diät-Guru und will es nie never ever werden, daher nur so viel: Macht kleine Änderungen, die sich durchhalten lassen. Und wenn ihr diese 30 Tage durchgehalten habt, ist das neue Verhaltensmuster so weit eingeprägt, dass ihr die nächste Veränderung angehen könnt. Allen Zucker von heute auf morgen zu verbannen – das führt nur zu unerträglichen Entzugserscheinungen nach einem Tag.
Auch beim Sport muss es nicht sofort der Marathon sein. Ich habe selber lange an klitzekleinen Nahzielen gearbeitet und es erst nach einem (!) Jahr (!!!) geschafft, 5 km locker zu rennen ohne dass mir die Lunge aus dem Leib fällt. Zwischendurch war es frustrierend, vor allem wenn elegant flotte Jogger an mir vorbeizogen. Aber Mikroziele haben mir geholfen, dahin zu kommen und jetzt gibt es ein nächstes Mikroziel: 6km locker flockig. Und dann 7 km. Usw. Irgendwann werde ich schon bei den 10 km landen, aber ob das schon dieses Jahr sein wird…. Egal. Hauptsache man macht was! Seid also lieb zu Euch und macht nur so viel, wie Ihr auch wirklich durchhalten könnt. Und dann macht ein bisschen mehr. Und um mit Joggen anzufangen, reicht auch erstmal eine olle Jogginghose und ein paar gute Schuhe – da müssen nicht erst Euros in Funktionskleidung fließen.
Und überhaupt: Wieso nur sich selbst verbessern? Hier denke ich mal Groß (größenwahnsinnig?) und postuliere: Macht kleine Dinge um die Welt zu verbessern. Gerade erst wurden Menschen wie ich in der NZZ gescholten, weil wir uns einbilden, unsere Verhalten würde die Welt ändern. “Die Welt” bestimmt nicht, aber vielleicht unsere direkte Umgebung:
1. Einfach mal zu Fuß gehen. Zur Arbeit, in die Schule, zum Einkaufen. Auch wenn es weiter weg ist. Dann spart man Geld, Benzin und macht auch gleich was für die Fitness. Klar, das kostet Zeit. Aber die nehmen wir uns einfach vom Smartphone-Facebook-Checkup-Konto. Effekt: Auf der Straße ist ein Auto weniger und Ihr behaltet den Parkplatz.
2. Plastikfrei einkaufen. Versucht doch mal, einen Einkauf plastikfrei zu gestalten. Dann überlegt, ob das durchhaltbar ist. Effekt: keinen ewig gefüllten Gelben Sack im Keller.
3. Einem Kind oder Freund etwas vorlesen. Es gibt nichts schöneres als einem Kind etwas vorzulesen. Und wenn man kein Kind hat, kennt man vielleicht eines im Bekanntenkreis, dass sich über ein Vorlesestündchen freut. Wer in komplett kinderfreier Umgebung lebt, kann als Lesepate aktiv werden oder aber einfach mal einem Freund oder einer Freundin etwas vorlesen. Oder dem Partner. Lasst Geschichten in Euer und das Leben anderer! Effekt: Ihr macht anderen eine Freude und interagiert mit Menschen.
4. Den Scheiß von anderen Leuten wegräumen. Ich weiß, da sträubt sich einem alles – wieso soll gerade ich den Müll anderer Menschen wegräumen? Ich bin doch nicht blöd? Diese Einstellung führt übrigens auch zu ewig verdreckten Büroküchen, denn plötzlich ist alles Geschirr der “Müll der Anderen”. Nehmt eine Tüte, geht eine Runde, hebt mal ein bisschen Plastik auf, das in der Natur herumliegt. Don Quijote? Sisyphos? Egal, denn wenn wir es nicht machen, macht es keiner. Effekt: Wenn jeder im Viertel einen Tag im Monat Plastik aufheben würde, wäre es plötzlich erstaunlich sauber.
5. Mal wieder einen Brief schreiben. Zum Beispiel an Oma, die nicht auf Facebook ist und daher nicht weiß, was Ihr macht. Auch wenn Ihr denkt Ihr teilt Alles mit Allen – manche Leute nehmen nicht teil an sozialen Netzwerken und freuen sich auf Nachricht von Euch. Außerdem hält mit der Hand schreiben auch das Gehirn fit – sollte man viel öfter machen. Wer Kinder hat, animiert sie gleich zum mitmachen – Erziehung, Vorbild etc. Effekt: Ihr macht anderen Menschen eine Freude und trainiert Eure Feinmotorik.
6. Mit weniger Geld besseres Essen kaufen. Klingt paradox? Nunja, wer kauft denn beim Discounter wirklich nur das, was er braucht? Weil alles so günstig ist, kauft man oft mehr, als man essen kann (und dann noch den ganzen Non-Food-Kram) und wirft es später weg. Geht mal zum Gemüsehändler, in den Demeterladen oder zum Bauern und kauft handverlesen nur das, was Ihr wirklich braucht. Ein Essensplan für die Woche hilft zu wissen, was man braucht. Effekt: Weniger Müll in der Tonne, besseres Essen für die Familie.
7. Seid nett zu anderen. Schade, dass man das als Mikroziel hier hinschreiben muss, aber der Umgang in Deutschland lässt oft zu wünschen übrig. Überlasst mal einer wenn auch grummeligen Alten den Platz in der Bahn, grüßt die Müllleute, dankt der muffeligen Bedienung im Café überschwänglich – und Ihr werde sehen, dass diese Menschen auch lächeln können. Helft Euch gegenseitig, lasst die Ellenbogen eingeklappt, seid nett zu Euren Nachbarn und lächelt Dienstleister mal an. Effekt: Ein Lächeln kostet nichts, aber macht auch selbst bessere Laune. (Kann auch erstmal vor dem Spiegel geübt werden, damit man nicht aussieht wie ein Irrer)
Das sind so meine Gedanken zum Thema Rundumerneurung. Und damit nicht nur im Januar die Motivation stimmt, denkt daran: Tippelschritte!
One Response to “Gute Vorsätze und Tippelschritte”
Es gibt nichts Gutes, außer frau tut es😉!